haiku XX

silbiges tasten
tanzendes bildergeflecht
wortsinnlichkeitszeit

Im September

Verhangen, grau, und doch ein Hier und Da an Blau,
ein Sonntag, der sich eine Liebe wünscht,
ein Arm in Arm, wo Hände durch die Körper lauschen,
und Haut an Haut sich an die Zeiten schmiegt.

Denn Kühle steigt nun lange aus den Morgen,
der Wind weist rauschgeladen seinen Weg,
und auch das Licht bricht sich an treibenden Gedanken
oder hindurch, dass es nach innen fliegt.

Hinkunft

Wohin denn wirft sie mich,
die ganze Sehnsucht –
hinaus ins alte Dorf,
aufs Stoppelfeld,
in Sommer,
die nur Sommer waren,
nicht Krieg,
nicht Baumarkt,
nicht jederzeit
das Blick
auf Alles
in der Welt?

11111011010

Nullen und Einsen.
Einsen und Nullen,
Materie, Antimaterie,
Sinn, Unsinn,
an und aus –

Aus

Slash, Dash, Mash,
Pesch

Felgumschwung, Rittberger,
Schlagballweitwurf

Aufschwang, Abschwang, Überschwang
Waschzwang, Schwanengesang

Urmel, Merkel,
Vergissmeinnicht,
Kollaps, Concepts, Bizeps

Antagonist, Protagonist,
Protuberanz, Arroganz

Aurora, Sonnenstern,
Kartoffelsalat

deux mille dix und das –

Was?

banané [créole mauricien]

Brotaufstrich

Schmatterbulz und Butterschmalz,
Mutterkuchen süß mit Salz,
Ruhmesaß am Henkelschwenk,
Rollenbutt im Dotterlenz,
Prisenkenner Züngelschmeck,
Ziegenkäse am Gedeck,
Sauerbraten, Stangenlauch,
Streuselback und Streichelbauch –
als Brotgebers Samenkorn
braust ich fort vor Vaterzorn...

Die Frage noch

Wenn unsre Nächte wieder früher
die hellen Lichter an sich ziehen,
im Park die Laubfrau wie jedes Jahr
ihre Einsamkeit zusammenkehrt,
kühle Feuchte, Werden, Verwesen,
schweres Modern die Sinne belehrt,

steigt Wehmut auf in neuen Zeiten
nach schöngetauchten Lebenstagen,
die Liebe, das Meer, Füße im Sand,
einander in den Arm genommen,
die Seele weit herum gekommen –

für künftigen Weg denn gut genährt?

Dreifarbenstolz

Ein Schwarz, ein Rot, ein Gold gehisst,
geflaggt, verpackt und Kriegsbemalung,
das Anderland im Chor gedisst,
der Stolz, er bricht aus der Verschalung

Fußgetrampel, Faustgerecke,
Schuss, Tor und Ruck hallt von den Mauern,
Fahnenmeer tränkt Himmelsdecke,
so lässt ein Volk sich offen schauern

Denn man ist Elf, Angriff und Block,
das »Ich« braucht »Wir«, den Schrei von Tausend,
Stollen und Schoner – Waffenrock,
ein Mehr von »gleich« verstärkt den Glauben

Aller Sieg, Seelenkorsage,
ob stark, verschlagen, mancher scheuer,
verarmt, sein Leben schon Blamage,
verspricht dem Bauche Nervenfeuer

Und welch‘ ein Wind im Farbenschwung,
Glück und Gewalt auf gleichen Wegen,
fängt sich im Zaume der Nation,
lässt sich im Rausch vorüberwehen

da, schau

babys schweben an den brüsten,
mütter auf dem weichen grün,
saugen erste sonnenstrahlen,
so feucht, so warm, und leichter wind noch kühl

ein fluss trägt seine wasser fort zum meere,
das eine leben in ein großes sein,
und kleine augen senden blicke an ein blaues sehnen,
sie liegen, lauschen in ihr herz hinein

und ringsum treiben stunden, tage
sich neue bahnen durch die zeit,
fügt sich ein kreis und unduldsames warten,
in seiner mitte strampeln kleine schritte »gleich«

Eben noch...

Ein Mutterschaf bei zweien Lämmern
stand hoch im Grün, die Kleinen lagen,
das eine schwarz, das and're weiß...

Ich glaube, keinem wird es dämmern,
dass Ostern ist an nahen Tagen,
und ihr Geschick Sterben verheißt...

Doch umherum lauert Idylle,
Narzissen, Raps und Löwenzahn,
an süßer Schwere schwebt darüber
des ausgehauchten Blühens Plan...

Herbst IV

Die Luft ist arge abgekühlt,
Formulare rascheln noch zum Fall,
Pauschals statt Stricke
um die Hälse – Frist oder stirb,
und Wenden flau(t)en Lebensturns
verirren sich zum Wind,
der jenseits alten Eisens weht

Statistisch stiehlt sich
Nachtfrost in das letzte Hemd
und gönnt noch eine Tasche dir,
kurz vor dem Winter,
win-win im kargen Sinn,
Verlust – was nicht
sein Gegenteil verbirgt,
das leugnet manchen Preis

So schließt der Kreis
sich vor demselben,
der nach der Sonne Gang
poetisch leicht beschworen,
denn auf den Schächten
reicher Banken heißer
Abluft Nachtasyle
tanzt schon menschender
Jahreszeiten Abgesang

Herpesgedicht

Es ist Herpes,
fliehender Koffer,
Götterbote,
Schrund an Lippen,
die Sommer waren
und Wind geküsst

Huhn

Ein Blick nach rechts, ein Blick nach links,
Straße ist frei, und so gelingt‘s,
ein kurzes Flattern und mal krähen,
mobiles Blech kam längst zum Stehen,
ein Schauspiel, wie die Federpracht
galantes Schreiten vorgemacht –
ein Huhn zeigt einer schnellen Welt,
dass Halten lohnt am freien Feld

herb, herber...

herbst, na und, was soll‘s –
symbolischer protz,
wirfst dich ins volle leben,
jonglierst mit blättern und verfall,
goldigem schimmer der jahre,
wie sie vergehen –

lebst unter freiem himmel
im taumel der gestirne,
dies können ist natur,
das unsere, den tod zu wissen

und lachen –

wirst dich dem winter übergeben,
der freund von anbeginn,
silbriges schweigen –

noch rascheln die kastanien,
dein spaß – bei jedem treffer

Indikation

Was schert
die Schere zwischen
und Schere im Kopf
Fäden ziehen hier
und aus Narben dort?

Julizeilen I

Zieht sich
die Wolkendecke über,
das Sommerlicht

Weht »schöne Tage
sind noch nicht vorüber«,
der Abendwind

Und schweifen,
so viele Jahre aufgesogen,
alle Sinne hinterher

Julizeilen II

Schon letztes Jahr,
und dieses wieder
auch im nächsten –
unheimlich wächst
der Kreis zum Punkt
und geht uns aus
mitsamt.

Kreis

Wo ist mein Kreis,
fragte die Linie
und geriet in
umherirrendes Zickzack

Geh‘ nur geradeaus,
wies sie der Weg,
du findest ihn
in dir selbst

Und so geschah es,
als sie ihre Spur
vor sich liegen sah...

Manège public

Die einen mit dem glänzenden Verstand,
sie müssen scheinen, keine Frage,
wohin sonst mit dem Wissen, aller Kraft,
die Welt in Worten auszutragen

Nur gut, dass es sie gibt,
Etagenkellner aufgestockter Geistestürme,
Schlüsseldienst und Diskretion
der letzten Weisheit Chambres separées und Gier

Unten der Wind treibt Unrat
in von Lebenslehm gebrannten Mauerfluchten,
obenweit bläst des Scharfsinns kalter Ton
gleißend am Himmelsstahl zum Sturme

Wenn nicht Gewalt gläsernes Splittern
in bodenstarrend wunde Augen streut,
schlägt doch erbarmungsloses Zeitenreißen
die Fenster zu in manchem Haus

Mehr

Meine Uhr
geht vor –
jeden Tag
schenkt sie mir
ein bisschen Zeit,
nein, nur
Gefühl von
etwas mehr,
zehn Minuten
oder dreißig,
hin zum Abend –

einfach so

Mein Leben
geht vor –

jeden Tag
schenkt es mir
ein bisschen Zeit,
zur Freude,
oft nur Gefühl
von etwas mehr
als Sein und
Werden,
hin zum Abend –

einfach so

nachlese

frühstück auf dem balkon, tag eins im mai,
gitterstäbe zu zwei seiten, fliedergestrichen,
wie mal der laufstall für die regen kinder,
sonst fensterfront und mauer

jarrett liegt auf, später dann doch lieber schubert,
ein bisschen selbstbestimmung vergräbt sich im gemüt

sonntag dieses mal, tag ohne arbeit,
nicht für die brötchenfrau und andre schichten

der werktag dann, windstoß zurück ins rad,
da kommt die spreu vom weizen, sagt man so,
volksmund ist selten lustig, das leichte fliegt
oder was zu leicht befunden trägt sich aus all den kurven
sichtentstellter und verengter zusammenhänge;
denn wirklich wird das korn vom korn getrennt,
keimt hier wie dort und wurzelt, feld oder rand,
hoffnung oder verzweiflung, kapazitätsgeborgen
oder schon routiniert in seelenleid und depression

die sonne scheint – ach ja? –
ist eigentlich nur frage der entfernung;
entfernt brennt auch der mann von nebenan,
zu restglut seines lebens,
wie zunder sein stolz früherer jahre,
verlassen taghell in erinnerung

der sauerstoff kultur, vorbild und ideale, zerfrisst nun altes eisen,
das salz der erde gerät sich beißend in die wunde haut,
zukunftsschimmer menstruiert auf straßen und auf plätzen,
hochauf müht sich das fahnenrot

Narrkosung

Zitterndes Espenvolk –
großkalibrige Seifenblasen
irren durch abgestandene
Schrecken

[ Unterdes...]

Harmloses Bittersüß –
traumsattpolierte Sarkasmen
schwären in kollabernden
Fräcken

[...hatte sich eine Abfolge hungriger Blicke vor
einer staubblinden Fensterscheibe eingefunden.
Schminkverschmierte Fetzen vereinzelter Illusionen
fielen zu Boden. Ein Gesicht wollte sich zeigen.
Es prallte ab vom Echo des Willens aus einer
fernen Zeit. Ein fremdes Flüstern noch, Hauchen
fast...]

outside in

firework of blossoms
exploding in the crowns,
sunsplash expectation,
vibrations from the ground

black soil is gleaming,
fertile disguise,
the promise of summer
as harvest of life

through fragrance of colours
I‘m leading my feet,
as silence is breathing
my joy‘s running deep

firework of starshine
expanding homeward bound,
sunsplash infinity,
and guided as a whole

Pauschal

Ein Argument steht oft im Regen
und reckt zum Trotz den Hals verwegen;
pfeift noch ein Bösewind von vorn,
hilft ein Pauschal meistens enorm,
dass sich im Eifer der Gefühle
die Konstruktion nicht gar verkühle.
Auch Kaffee wird gern warm gehalten,
denn kalt gleicht er nicht selten altem.

rauschen

ein wort gibt das andere
halt
ruhe
das nächste
ohne gedanken
besser still
bilder geräusche
da war ich schon mal
am wasser
das meine zehen umspielt
wind umher
wehender druck an meinen augen
stehenbleiben
salz
dämmerung
ein schein weit hinten
linie
sinkendes rosa
wellen rauschen

alles rauscht
fruchtbares wasser
töne von außen
warmes schimmern
dann und wann ein lied
ein lachen
ein flüstern
heller
dunkler
sie
er
bin schon da und doch nicht
schweben
getragen werden


wieder jetzt
nicht mehr damals
hier im außen
schritte
ich gehe am entlang entlang
lange schon
rauschen

regression

schlagende beweise –
väter, mütter,
ehemänner, ehefrauen,
lehrerinnen, lehrer,
priester, bischöfe...

niederschlagende beweise –
söhne, töchter,
schulschwänzer, sitzenbleiber,
klaukinder, abzieher,
komasäufer, dealer, fixer,
arbeitsverweigerer, hartzer,
schläger, totschläger...

Tanze Mann

Tanze Mann, willst du erkunden,
wie das, was »männlich« oder »weiblich« wird genannt
in deinen Eingeweiden ruht und dann sich regt,
wenn es den Klängen musischer Verführung
unwiderstehlich in die Umarmung
all deiner Träume, Ziele,
Freuden, Sorgen, Liebe sinkt.

Vergiss, was deinen Körper trennt
durch Konvention, Entfremdung oder Grenze
von dem, das ihm als Sprache, Ausdruck innewohnt,
denn so betrittst du jene Brücke,
die deiner Seele Ufer ist gebaut,
wovon zurück nun auf sich selbst zu blicken,
zur tiefen Quelle unsrer Kraft, sich lohnt.

viellaicht

milliardenfach
so glüht erdum
das leben

es wallt und sprüht
sich aus im kleinen
hin und her

»wie schorf« so forsch
ergänzt der frosch
mal eben

und aus seiner
perspektive
wiegt das schwer

....

Wort

so wie es steht, da oben,

einfach, ohne sich zu regen,

und, wie es dann endet,

kurz, ohne Inhalt, und doch

Ort

welk

muttertag – vergiftete blumen
aus armer väter länder

lungenkarzinnober
auf sahniger sonntagstafel

noch immer klingt ihr lied vom kinde
das aß die tödlich rote frucht

x

Sande der Wüsten,
vertriebene Glut
und Verwehung aus Leid
x-ten Males

Massen der Meere,
erhabener Gang
im schier endlosen Kreis
x-ten Planes

Feuer der Tiefen,
erkaltender Strom
und versiegendes Sein
x-ten Quantes

Salz dieser Erde,
zerflossenes Wachs
am Verbrennen der Zeit
x-ten Grades